AUS
Die Inszenierung
von Alois Hotschnig / Inszenierung: Peter Wagner
Mit Peter Raab / Bassklarinette: Gerhard Lehner
Einrichtung der Bühnen- und Lichtelemente: Peter Wagner
Steuerung: Gottfried Lehner, Konrad Überbacher
Eine Produktion des klagenfurter ensemble 2016
Uraufführung: 15. November 2016 / 20:00 Uhr / klagenfurter ensemble, Theaterhalle 11
Fragen an den Regisseur Peter Wagner
Tina Perisutti "Aus" ist uns als Erzählung Alois Hotschnigs bekannt, die der Autor für Peter Raab in die nun zur Aufführung gelangende Theaterfassung brachte. Grausame Kindheitserinnerungen und das jahrelange Schweigen darüber bekommen eine bilderreiche Sprache, die eine tiefe Verbitterung, aber auch Rachegelüste zutage bringen. Worauf legen Sie den Fokus in/bei diesem Stück?
Peter Wagner Eindeutig auf die Sprache. Allerdings war mir auch ein nicht weniger fundamentaler Widerpart wichtig, in diesem Fall die Musik, die durch einen ebenfalls sichtbaren Protagonisten quasi als zweite, allegorisch zu verstehende Bühnenfigur mit dem Rücken zum Publikum agiert.
Tina Perisutti Die Sprache in diesem Sogwirkung erlangenden Text fungiert einerseits als Beschreibung, erhält aber auch die Funktion eines befreienden Aktes. Überhaupt zu Sprache zu finden, ist eine Besonderheit, die nicht jeder erlangt. Wie erleben Sie die Sprache in diesem Stück, was wollen Sie dem Publikum mitgeben?
Peter Wagner Sie ist der Handlungsraum, sie ist das Maß aller Bewegung im psychischen Untergrund des Erzählers, ja sie ist so sehr er selbst, dass er ohne diese Sprache, die er würgt, um von ihr gewürgt zu sein, schlicht ohne erkennbare Existenz wäre. Sie ist also das, was noch an Selbstbehauptung, Widerstand und letztlich auch Überlebensmuster in ihm obwaltet. Dadurch relativieren sich, für mich jedenfalls, die vermeintlichen Rachegelüste an seinem als monolithisch vorgeführten Vater: In der Sprache und durch sie findet er letztlich auch eine gewisse Annäherung an ihn, selbst wenn er ihn mit ihrer Hilfe endgültig zur Unperson deformiert. Da die Sprache für mich der eindeutige Hauptdarsteller des Stückes ist, hielte ich es für einen Fehler, ihr allzu viel Bühnenbewegung, d.h. eine mögliche theatralische Überfrachtung aufzuoktroyieren.
Tina Perisutti Am Beispiel seines eigenen Theatertextes "Die Kardinälin" bewies uns Peter Wagner, auch hermetisch wirkende, monologische Texte mit einer dynamischen Spannung aufladen zu können und das Publikum somit in Bann zu ziehen. Welches Element kommt bei dieser Inszenierung zu tragen, um nicht als statisch empfunden zu werden?
Peter Wagner Einerseits sollte das Publikum alleingelassen sein mit der Sprache des Dichters und ihrem Träger, des mit sich selbst ja auch alleingelassenen Ich-Erzählers. Andererseits darf es aber auch eine Gegenpositionierung durch den Einsatz von Musik erfahren, der stets die Erzählung eines fundamentalen Trostes anhaftet. Und drittens spielt, wie immer am Theater, der Einsatz von Licht eine Rolle. Durch die Untergliederung des Textes in zwölf Kapitel und deren je eigene Beleuchtung wollte ich nicht nur auf den Erzählprozess im Gefüge der Sprachfindung hinweisen, sondern auf deren Auswirkung auf die mentale Befindlichkeit ihres Trägers. Das Licht agiert also als eine Art Spielleiter.
Tina Perisutti Peter Wagner ist dem Publikum des klagenfurter ensemble inzwischen vor allem bekannt durch seine prägnanten Videoarbeiten, die er kongenial mit dem szenischen Ablauf der diversen Stücke verknüpft und somit ein außerordentliches Theatererlebnis herstellt. Die Bühne für "Aus" ist klein und bewusst karg gehalten. Was erwartet uns dieses Mal videotechnisch?
Peter Wagner Gar nichts. Außer dass ich den Beamer als Lichtquelle benutze. Vielleicht verzichte ich das nächste Mal sogar ganz auf ihn. Versprechen kann ich es freilich nicht ...
Pressestimmen
Ein bedrückendes Kammerspiel
Szenen einer Demütigung, gnadenlos ausgeleuchtet: Peter Raab verkörpert Alois Hotschnigs „Aus“.
Man kennt die Geschichte vom hartherzigen Vater auf seinem Hof, vom Verstummen und lautlosen Schreien aus Scham, von Kälberstrick und Sauschlachten. Die österreichische Literatur ist voll davon. Aber selten hat man sie so eindringlich auf der Bühne erzählt bekommen wie mit der Uraufführung von Alois Hotschnigs dramatisierter Erzählung „Aus“, die derzeit im Theater Halle 11 zu sehen ist.
Peter Raab, dem das Stück vom Autor zugeeignet wurde, spricht diesen Monolog an den im Koma liegenden Vater mit elementarer Kraft. Distanziert und aufgewühlt zugleich wirkt er, nüchtern lässt er das Leben der beiden Revue passieren, immer dabei - die Mutter, die „am Vater verendet“ ist. Messerschaft ist die Sprache, kalt ist das Licht und bedrohlich baumelt der Strick von der Decke bei dieser Inszenierung von Peter Wagner, der mit Peter Raab und Gerhard Lehner ein bedrückendes Kammerspiel auf die Bühne stellt, das die Frage nach Opfern und Tätern stellt. Wird der Sohn zum Täter am hilflosen Vater, wenn er mit leisem Lächeln sagt: „Ich werde dich in den Sarg hineinpflegen“? Ist der Vater, monolithischer Dämon der Familie, nicht auch ein Opfer, er, der selbst nur der „Mitgebrachte“ für seinen Ziehvater war?
Strukturiert wird diese gnadenlose Abrechnung durch Gerhard Lehners mit dem Rücken zum Publikum vorgetragenen, stimmigen Improvisationen auf Bassklarinette und Synthesizer sowie durch den abwechslungsreichen Einsatz von Licht, das einmal Gitterstäbe über die Bühne legt, dann wieder einen Schattenriss des Erzählers zeichnet, nichts Warmes, „Erhellendes“ an sich hat, sondern gnadenlos ausleuchtet. „Ich werde nicht mehr knien, mein Vater“, gibt sich der Ich-Erzähler zu Beginn noch selbstbewusst. Am Ende hat er seinen weißen Anzug ausgezogen, rollt sich, nur in Unterwäsche, wie ein hilfloser Embryo am Boden liegend ein. Ein Starkes Stück.
Karin Waldner-Petutschnig, Kleine Zeitung
Starke ke-Premiere mit Peter Raab, Geleitet von Regie & Sound
Eine Angst wäscht die andere
Kaum zu ertragen und dennoch anziehend dank seiner genialen sprachlichen Konstruktion und treffenden Bilder ist Alois Hotschnigs für Peter Raab verfasstes Stück „Aus“. Im Klagenfurter Theater Halle 11 ist der Schauspieler nach gelungener Premiere bis 17. Dezember in minimalistisch zwingender Regie von Peter Wagner zu erleben.
Seine ganze Persönlichkeit legt er in das riesige, vielschichtige Textgebäude, das drei Generationen gefangen hält: bäuerliche Existenzen in dumpfer Ohnmacht gegen Schmerzen, Ängste, Krankheit und Tod.
Ein Ich-Erzähler, Bauernsohn, ehemaliges Heimkind, jetzt Altenpfleger, von seinen Eltern und Großeltern und deren Lebensumständen „gemacht“ - das heißt gequält und verstoßen. Er rächt sich an seinem sterbenden, zeitlebens brutalen Vater mit einer einzigen monumentalen Anklage, bevor er diesem die Spritze gibt … Die einzelnen Textetappen, drastische, kunstvoll verschränkte Milieuschilderungen aus Hotschnigs von Armut und Gewalt gegen Mensch und Tier geprägter Oberkärntner Heimat, finden sich mal unterlegt, mal getrennt durch expressives Bassklarinettenspiel von Gerhard Lehner - von apathischer Melancholie bis zum schrillen Kastrieren der Schweine, denn hier „wäscht eine Angst die andere“. Angst also und nicht die Hand, die Hotschnig in seinem Text sonst oft und deftig in vielfacher Funktion einsetzt.
Makaber auch die Schilderung, wie des Erzählers Onkel bei einem Traktorunfall seinen Arm einbüßt und dadurch einen neuen Plath in der von Hass und gegenseitiger Ausbeutung geprägten Familie einnimmt. Großartig der Gang von Raab vom Totenbettstuhl durch die dunkle Bühne, Schritt für Schritt durch schwarz-weiße Erinnerungsstreifen, etwas dick aufgetragen dafür der wechselnd bunt strahlende Musikantenkopf … Schwere Theaterkost - höchst sehenswert!
Andrea Hein, Neue Kronenzeitung