Stille im Dramolettenwald
Die Inszenierung
Ein choreografiertes Sprachbegängnis
Texte: Antonio Fian
Uraufführung
Regie, dramaturgisches Konzept, Bühne, Lichtdesign:
Peter Wagner
Musik: Primus Sitter /
Kostüm: Bella Ban
Darstellerinnen:
Hemma Clementi, Angie Mautz, Susanne Kubelka,
Katharina Schmölzer, Petra Staduan
Bühnenbau und Licht: Gottfried Lehner
/ Ton- und Videoeinspielungen: Christoph Bürger
Regieassistenz: Alina Zeichen
/ Korrepetition: Davorin Mori
Produktionsleitung: Gerhard Lehner
/ Dramaturgische Beratung: Maja Schlatte
Büro: Franz Doliner
/ Öffentlichkeitsarbeit: Tina Perisutti
/ Fotos: Günter Jagoutz
Eine Produktion des klagenfurter ensemble
Premiere: 31. Mai 2014, klagenfurter ensemble
Fragen an den Regisseur Peter Wagner
gestellt von Maja Schlatte
Dramolette von Antonio Fian füllen inzwischen fünf Bücher (abgesehen von den ganz aktuellen, die regelmäßig in der Zeitung erscheinen). Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Textauswahl aus diesem dichten Wortwald getroffen?
Zuerst nach persönlichen, dann nach dramaturgischen. Persönlich hat man ja, zumal als Der-Standard-Abonnent seit Anbeginn, so etwas wie ein Naheverhältnis zu einem Urheber namens Antonio Fian: auf einer der letzten Seiten der Print-Ausgabe begegnet einem mit schöner Regelmäßigkeit irgendwo links oben oder rechts unten ein Kommentar der anderen, poetischen, pointierten Art, ein Cartoon der Sprache, der einen aber - gerade durch die Persiflage der gängigen Sprachschemata in Politik, Öffentlichkeit und privaten Sphären - dann doch wieder an Sprache, zumindest aber an ihre Durchschaubarkeit glauben lässt.
Der erste Zugang zu Fian war also ein emphatischer.
Der zweite, der dramaturgische, hat sich als schon wesentlich komplexer und komplizierter erwiesen. Zunächst wohnt all diesen Kommentaren zu Trivialität und Virulenz des Alltags eine gewisse, manchmal sehr konkrete Rückbezüglichkeit auf ein Tagesereignis inne, also ein ursächlich journalistischer Ansatz. Auch wenn sich solch ein Mikrodrama durch den poetischen Akt dem Tagesereignis entziehen mag, so stellt sich doch immer wieder heraus, dass es ohne dieses im Wesentlichen gar nicht funktioniert - und also dann doch so etwas wie ein Ablaufdatum besitzt. Entsprechend musste ich beispielsweise mir zusagende Dramolette aus meiner Auswahl für die Inszenierung wieder streichen, weil sie in ihrer vor zwanzig Jahren wie selbstverständlich wahrgenommenen Aktualität heute keine wirkliche bzw. zupackend zwingende Aussagekraft mehr besitzen.
Aber da gibt es noch die anderen Dramolette. Jene, die absolut kein Ablaufdatum haben, so wie gute Lyrik kein Ablaufdatum hat. Und für diese habe ich mich letztlich entschieden.
Das Stück "Stille im Dramolettenwald" sollte keine Nummern-Revue werden. Welcher Inspiration folgen Sie in Ihrer Inszenierung?
Tatsächlich äußerte sich Antonio Fian von Beginn an skeptisch gegenüber einer bloß aneinander gereihten Abfolge von Dramoletten, konnte selbst aber keinen Rat beisteuern, wie die Mikrodramen denn anders dargereicht werden könnten. Auch wollte er nicht, dass quasi ein Kabarett-Abend unter Zuhilfenahme der Dramolette entstehe. Offenbar hatte er bereits Erfahrungen in beide Richtungen gemacht. Abgesehen davon, dass letzteres für mich ohnehin nicht in Frage gekommen wäre, hatten – wie gesagt – die weniger tagesaktuellen und eher poetischen Stücke für mich ohnehin den stärkeren Reiz. Und sie stellen wohl auch die größere Herausforderung ihre Bühnenumsetzung betreffend, dar.
Bei der erstmaligen Lektüre der gut fünfhundert Dramolette hatte ich sehr bald den Eindruck, dass jeder realistische Inszenierungsansatz letztlich nur scheitern kann. Die Dramolette behaupten vielfach zwar eine realistische Situation, die sich dann aber, aufs tatsächliche Theater bezogen, als ziemlich heimtückisch erweisen kann: denn der dramatische Plot ergibt sich oft aus einer Mischung aus Dialog und Regieanweisung, also keineswegs nur aus dem Dialog alleine. Das macht ja die ganz eigene literarische Qualität der Dramolette aus. In dem Augenblick, in dem man sie nach herkömmlichen Kriterien in ihre dramatischen Bestandteile zerpflückt und zu inszenieren versucht, steht man sehr oft vor dem Dilemma, dass sie den beim Lesen spontan entstehenden Reiz verlieren bzw. sich in Richtungen entwickeln, die nicht mehr (oder sehr oft nicht mehr) funktionieren.
Mein Ansatz besteht also darin, zunächst einmal das Unwirkliche zu betonen, um der Wirklichkeit der Fian´schen Dramenschöpfungen näher zu kommen.
In Fians Dramoletten kommen Frauen eher sporadisch vor. Sie haben ein Frauen-Quintett geholt, um das Stück zu gestalten. Ein erfahrener Theatermacher macht so etwas nicht von ungefähr ...?
Nein, sicher nicht. Die Besetzung mit fünf Frauen, die allesamt mehrheitlich Männerrollen verkörpern, war ein Schritt in die intendierte Richtung, die Wirklichkeit des Unwirklichen zu betonen. Ein – zunächst – nicht vorhandenes Bühnenbild mit nichts als einem durchsichtigen Vorhang war der nächste. Der Verzicht auf so gut wie jede Requisite und schließlich das Eingliedern der Regieanweisungen ins Bühnengeschehen als mitspielender Teil waren ein weiterer. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch die Kostüme, kreiert von Bella Ban mit ihrem ganz eigenen, hochkünstlerischen Zugang zu den vermeintlich einfachen, letztlich aber so komplexen Dingen: Sie betonen sowohl das Individuelle wie auch das Kollektive und geben der Farb- und Lichtdramaturgie Raum und Körper.
Zudem wollte ich mit den fünf Frauen auch eine Klammer im Sinne eines Stückansatzes finden, dessen es dann, wie sich bei den Proben herausstellte, gar nicht bedurfte. So bleiben denn im Sinne eines dramaturgischen Stückebaus drei schematisch geordnete Akte, wovon der erste die eher poetischen Sprachbilder bedient, der zweite einer österreichischen und der dritte einer kärntnerischen Färbung unterliegen. Zudem habe ich auch noch, um auch der nicht gewollten Nummern-Revue entgegenzuarbeiten, manche Dramolette gesplittet und versetzt miteinander verschränkt, sodass – speziell im Mittelteil – ein eigener dramatischer Ansatz entstanden ist.
Fian selbst wählte zu seinen Lesungen der Dramolette die schrägen, neuen Wiener Lieder des Kollegium Kalksburg. Was ist die Idee des Musikers Peter Wagner zur Szenenmusik?
Die Idee des Regisseurs Peter Wagner (der zufällig auch ein anarchischer Rockmusiker ist, aber nicht mehr als das) ist tatsächlich nur eine Idee gewesen. Zum Glück habe ich mich aber, in einer Art Bauchentscheidung, einem wunderbaren Musiker und Menschen anvertraut, nämlich Primus Sitter. Es ist mir selten passiert, dass ein Komponist, den ich bis dahin nicht kannte und mit dem ich nichts als ein paar Sätze über meine musikalischen Vorstellungen wechselte, so ansatzlos verstanden hat, was ich wollte. Mehr mag ich dazu nicht sagen, das sollte man sich selbst anhören.
Pressestimmen
Kongenial theatral: Peter Wagner inszeniert Antonio Fians Sprachkunst für das ke
Unwirklich wirklich, genial normal
Weniger ist mehr und Antonio Fian ist Meister des Mehr im Wenigen. Mit brillant reduzierten "Sprachcartoons" fasst er den ganz normalen Wahnsinn menschlichen Seins in wenigen Zeilen. Wie gut das auf der Bühne funktioniert, zeigte Peter Wagner am Freitag zur ke-Uraufführung, die der "Stille im Dramolettenwald" kongenial theatral begegnet.
Wie grelle Farbspritzer knallen sie in den Geist, die bis aufs Unverzichtbare aus Realität gemeißelten Wunderwerke fianscher Dramenkunst. Diese abgründig-demaskierenden Zustandsbestimmungen österreichischer (und Kärntner!) Realitäten, deren Wahrheitsgehalt zwischen literarischer Qualität und (tages)politischem Anspruch mit so viel Unterhaltungswert daherkommt, dass man den bitterbösen Ernst dahinter erst merkt, wenn er sich festgebissen hat. Und so trifft man auf nackter Bühne, die nur einen transparenten Vorhang als stimmige Projektionsmembran für Film-"Selfies", Zitate und Regieanweisungen trägt, mit Katharina Schmölzer, Petra Staduan, Susanne Kubelka, Angie Mautz und Hemma Clementi fünf grandiose Schauspielerinnen. Sie betonen für Wagners fantastisches Sprachbegängnis Unwirkliches, um Wirkliches zu finden, während die süffig-schräge Musik von Primus Sitter das ihre tut, um den Dramolettenwald emotional zu unterfüttern.
In 80 Minuten der sehenswerten Art entlässt er - schematisch in drei Akte geordnet - Begegnungen der denkwürdigen Art mit Büchermachern und Gespenstern, die an vielen sozialen Schichten kratzen. Die Moses samt den zehn Geboten für Karrierefrauen mühelos unter einen inhaltlichen Hut bringen, Marcel Reich-Ranicki und Siegfried Unseld auf dem Grinzinger Friedhof im nationalsozialistisch verbrämten Süßspeisen-Krieg belauschen. Und die von Nürnberger Rassengesetzen bis zu traurigen Wörthersee-Dialogen geschlechtsverwirrter Sportler genial sind. Ein Muss!
Irina Lino, Kronenzeitung, 1. Juni 1014
Vielstimmiges Rauschen im Dramolettenwald
Präzisionsarbeit. Zur Uraufführung von Antonio Fian-Dramoletten.
Wie bei Karl Kraus, nur anders. Wie "Die letzten Tage der Menschheit", aber ohne Weltkrieg. Eine Folge von Momentaufnahmen, exakt festgehalten und so ins Unwirkliche weitergedreht, dass man durch die Hintertür gehen muss, um die Wirklichkeit zu sehen.
Statt Nörgler und Optimist sitzen zwei Beachvolleyball-Nachwuchsspieler am Ende des Steges im menschenleeren Klagenfurter Strandbad. Sie tragen dunkle Brillen, starren aufs Wasser und führen traurige Dialoge: "Schen." - "Jo, eh. Kolt holt."
Der Autor Peter Wagner, der prinzipiell nur Uraufführungen inszeniert, hat für das "klagenfurter ensemble" aus Hunderten Minidramen von Antonio Fian eine Auswahl getroffen. Das Ergebnis ist alles andere als "Stille im Dramolettenwald" (so der Titel), sondern (viel-)stimmiges poetisches Rauschen. Die Gefahr einer Nummernrevue hat der Regisseur bei diesem choreografierten Sprachbegängnis mit fünf Schauspielerinnen intelligent und dramaturgisch raffiniert umschifft.
Auf leerer Bühne hat der gesungene "Vo-o-r-hang" mehr Volumen als der zwischendurch als Projektionsfläche genutzte Schleier. In drei Akten von lautmalerischer Poesie und schrägen Konstellationen (fünf Tibeter von links, sieben Samurai von rechts) über einen Österreichteil mit tagesaktuellen Kommentaren Fians (Temelin, Albertinaplatz mit Hrdlickas Mahnmal) zur Wortwitz getränkten Sprachlosigkeit mit Kärntner Farbigkeit.
Hemma Clementi, Angie Mautz, Susanne Kubelka, Katharina Schmölzer und Petra Staduan liefern - ohne nennenswertes Straucheln - Präzisionsarbeit, die vom Zuschauer volle Konzentration verlangt. Was witzig klingt, ist oft ernst und umgekehrt. Ab und zu feiert auch noch fröhliche Urständ, was Antonio Fian vor Jahrzehnten pointiert durch Sonne und Mond geschossen hat - im Theater zum fetten oder auch hingetupften Sound von Primus Sitter und in den Kostümen (das Signal steht auf vielfältige Einheit) der Künstlerin Bella Ban. Empfehlung.
Uschi Loigge, Kleine Zeitung, 1. Juni 2014
Betonung des Unwirklichen
"Stille im Dramolettenwald" mit dem Klagenfurter Ensemble in der Theaterhalle 11
"Schreiben zeichnet das Leben - Inszenieren begreift es," so Regisseur Peter Wagner, der unter begeistertem Applaus Stille im Dramolettenwald mit dem Klagenfurter Ensemble in der Theaterhalle 11 zur Uraufführung bringt. Gerhard Lehner (Produktionsleitung), auf dessen Schreibtisch sich Antonio Fians Dramolette getürmt haben, hat auf den richtigen Zeitpunkt, vor allem aber auf den richtigen Regisseur gewartet, dem er zutraute, "ein schlüssiges Konzept fernab einer Theatereinfaltspinsel vorstellbaren nummernrevuehaften Umsetzung" zu entwickeln.
Mit so gut wie keiner Requisite, dem Verzicht auf ein Bühnenbild, mit Ausnahme eines durchsichtigen Vorhangs, und einer Visualisierung der Regieanweisungen gelingt Wagner dieses "choreografierte Sprachbegängnis" äußerst eindrucksvoll. Er sieht die Betonung des Unwirklichen als Schritt, sich der Wirklichkeit Fians bildloser Sprachcartoons anzunähern, und engagiert für die Verkörperung der hauptsächlich männlichen Rollen ein Frauenquintett, durch dessen lautliche Modulierungen die Texte eine überraschend intensive Wirkung entfalten.
Da wird gefiept, geflüstert, gekrächzt und gesungen - und das bei überzeugenden schauspielerischen Leistungen (H. Clementi, S. Kubelka, A. Mautz, K. Schmölzer, P. Staduan). Gottfried Lehners Lichtkonzept, Primus Sitters musikalische Gestaltung und Bella Ban-Rogys künstlerische Handschrift tragende Kostüme akzentuieren diesen rasanten Parforceritt durch die satirisch-anspruchsvolle Mikrodramenlandschaft in der Theaterhalle 11. In der die Gebote für Karrierefrauen in Moses Neu mit dem Postulat "Und, übrigens: Er ist eine Frau" enden, Reich-Ranicki und Unseld am Grinzinger Friedhof debattieren und rund um Alfred Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus ein Junge seine Mutter fragt "Was ist ein Juden?", die mit "Musst nicht alles wissen," antwortet.
rieh, DER STANDARD, 3.6.2014