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Wir kamen und sie brauchten uns

Theaterkomposition in fünf Sätzen
von Peter Wagner

Wir kamen und sie brauchten uns

Theaterkomposition in fünf Sätzen
von Peter Wagner

Mit Texten von / po besedilih
Maja Haderlap, Alois Hotschnig,
Werner Kofler, Josef Winkler, Peter Turrini

Rahmenerzählung und Inszenierung / okvirni pogoji in uprizoritev
Peter Wagner

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LAUDATIO

zum Siegerprojekt „Wir kamen und sie brauchten uns“
der Kärntner Kulturstiftung 2021

vorgebracht im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz am 8. April 2021
Abschrift der Aufzeichnung

„Wir kamen und sie brauchten uns“ ist nicht nur ein hoch vielversprechender klingender kraftvoller Titel, man muss auch sagen, das klagenfurter ensemble hat mit diesem herausragenden literarischen Projekt, mit dem wirklich perfekt vorbereiteten Projektkonzept, das sie uns vorgelegt haben, uns, das gesamte Kuratorium - nicht nur mich persönlich! - wirklich unmittelbar begeistert und in den Bann gezogen. Es ist etwas Besonderes, wenn ein Projekt Spannungen erzeugt auf etwas Neues, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat, auf etwas Spartenübergreifens, wo sich Literatur, Schauspiel, Musik, Tanz, Licht mit Riesenmarionetten, den sogenannten Majestäten Alpha, Beta, Gamma und Delta trifft und unter freiem Himmel in eine poetisch-magische Erzählung mitnimmt.

Besonders einzigartig ist diese wirklich genuine Kreation der Majestäten, die in ihrer Riesenhaftigkeit eben eine direkte Antwort geben auf das plötzliche (pandemiebedingte, Anm.) Distanzgebot im öffentlichen und privaten Raum, mit dem wir alle konfrontiert sind, und die sich gemeinsam mit den sogenannten Erdlingen, also mit den kleinen Menschen, in diesem Umbruch in einen kämpferischen Dialog begeben. Das Projekt ist wirklich absolut am Puls der Zeit und es trägt auch der Ausschreibung der Kärntner Kulturstiftung „Umbrüche“ eben in doppelter Weise Rechnung.

Die innovative Form, die mit der Kärntner Literatur von bedeutenden, über die Grenzen hinaus bedeutenden Autorinnen und Autoren umgesetzt wird, ausgewählte Texte, die an verschiedenen Orten und Regionen quasi schon diesen Sommer aufgeführt werden - also das Projekt ist schon sehr weit vorgereift, ausgereift, es befindet sich nur mehr in der Finalisierung, steht in den Startlöchern und wir alle dürfen uns auf eine einzigartige Performance mit Uraufführung und Aufführungen an fünf  Spielorten von August bis September freuen.

Wir sind von der Einzigartigkeit dieses Projekts überzeugt, zumal es eben auch noch ein weiteres Entwicklungspotential in sich trägt. Geplant ist ja eine bleibende Präsentation der Majestäten in den Spielorten und es bietet sich auch noch eine Erweiterung in die zweite Kärntner Landessprache und eine Präsentation im Nachbarland an. Im Namen des gesamten Kuratoriums darf ich dem klagenfurter ensemble sehr herzlich gratulieren und eine erfolgreiche Projektumsetzung wünschen. Ich möchte an der Stelle aber auch allen anderen 155 Projektwerbern gratulieren, zum einen für das Engagement für das kreative Darstellen und dem kreativen Einsatz für Kunst und Kultur ihrer Projekte. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass wir uns gegenseitig ermutigen und motivieren Kultur und Kunst weiterzutragen und gerade in dieser herausfordernden Zeit eben weiterleben zu lassen, und ich denke dieser kraftvoll klingende Titel „Wir kamen um zu bleiben, wir kamen und die brauchten UNS“, der steht oder könnte über dieses Projekt hinaus quasi zu einem Leitmotiv werden für den Erhalt der Kunst und Kultur in unserem Land. Das wünsche ich mir und das wünsche ich Ihnen allen.

Julia Malischnig

 

Programmabfolge

„Lockdown“
Text und Musik: Peter Wagner / Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr, tp / Primus Sitter – git / Eveline Rabold – voc

Peter Wagner: Selbstvorstellung der Majestäten

Alois Hotschnig: Auszug aus „AUS“, Theaterskript Rowohlt Theaterverlag

„Als ich noch flog“
Text und Gesangsmelodie: Peter Wagner / Musik: Rainer Paul / Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr, tp, voc / Primus Sitter – git / Eveline Rabold – voc

Peter Turrini:
            - Aus dem Vorwort zur Buchausgabe eines Teils der „Alpensaga“, Residenz Verlag 1980
            - Szene aus „Bei Einbruch der Dunkelheit“, Suhrkamp Verlag 2007
            - Zwei Gedichte aus „Ein paar Schritte zurück“, Europaverlag 1992  

„Oh, Dio mio“
Text: Peter Wagner / Musik: Rainer Paul und Peter Wagner / Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr, pos, voc / Primus Sitter – git
Eveline Rabold – omnichord

Werner Kofler: Texteinheiten aus „Guggile - Vom Bravsein und vom Schweinigeln“, Wagenbach 1975

„Schotzale“
Textbearbeitung und Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr, tp, voc / Primus Sitter – git
Eveline Rabold – omnichord

Josef Winkler: willkürlich ausgewählte Textpassagen aus „Leichnam, seine Familie belauernd“, edition suhrkamp 2003

„Grauer Schnee“
Text und Musik: Peter Wagner / Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr / Primus Sitter – git / Eveline Rabold – voc

Maja Haderlap: Textpassagen aus „Engel des Vergessens“, btb Verlag 2011

„Fallen“
Text und Musik: Peter Wagner / Arrangement: Talltones
Stefan Gfrerrer – kb, perc / Richard Klammer – dr, tp / Primus Sitter – git / Eveline Rabold – voc

 

Interview mit Peter Wagner

Die wievielte Inszenierung am klagenfurter ensemble ist WIR KAMEN UND SIE BRAUCHTEN UNS für Sie und was ist das Besondere an diesem Theater, das Sie immer wiederkommen lässt?

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, es ist meine 12. Inszenierung am klagenfurter ensemble. Ich schätze nicht nur die Freiheit, mit der sich hier nicht nur arbeiten, sondern schmecken, riechen, tasten, greifen, stolpern, ja sogar scheitern lässt. Es ist ein Haus, in dem sich KünstlerInnen wohlfühlen können - weil der Kunst insgesamt zentrale Achtung geschenkt wird, nämlich nicht nur als die bessere Möglichkeit zu koexistieren, sondern - wenn man so will und ich will es für mich so - als Erbteil eines genauso lustvollen wie experimentierfreudigen Zugangs zur Theaterkunst. Hier kann ich frei arbeiten, ohne von Zuchtmeistern der Dramaturgie behelligt zu sein. Dass dies für mich alles sehr stark mit der Person des Intendanten und seinem unbändigen Naturell zu tun hat, sei hier jedenfalls nicht verschwiegen.

WIR KAMEN UND SIE BRAUCHTEN UNS ist eine Eigenproduktion des klagenfurter ensemble, die nun auch von der Kärntner Kulturstiftung finanziell unterstützt wird - in welchem (größeren) Ausmaß können Sie das Projekt jetzt durch die Unterstützung der KKS realisieren und wie hätte die Umsetzung im Rahmen einer „normalen“ ke-Produktion ausgesehen? 

Wir können - und wollen natürlich auch - das Projekt tatsächlich in dem Umfang umsetzen, wie wir es eingereicht haben: d.h. es an fünf unterschiedlichen Spielorten in Kärnten zeigen. Das bedeutet bei 14 professionellen Mitwirkenden auf der Bühne inklusive aller Anforderungen an Ton-, Bühnen- und Lichttechnik, Auf- und Abbau vor Ort, Kommunikationswege mit den örtlichen Mitveranstaltern, PR und Bewerbung etc. etc. einen enormen logistischen, organisatorischen und letztlich auch finanziellen Aufwand. Dazu soll und wird es eine professionelle, sendetaugliche Aufzeichnung geben, die auch einen späteren Kino- und/oder TV-Einsatz der Produktion möglich macht. Ohne zusätzliche Unterstützung hätte es eine sehr abgespeckte Version des Gesamtunternehmens mit vielleicht nur zwei oder drei Spielorten und jedenfalls weniger Mitwirkenden gegeben, aber fragen Sie mich jetzt nicht, wie diese ausgesehen hätte. Ich genieße das Privileg, mich auf die „Vollversion“ konzentrieren zu können.

Wie kamen Sie auf die Idee, mit menschenhandbetriebenen Riesenpuppen zu arbeiten und welche Wirkung sollen diese auf das Publikum erzeugen? 

Nach der unsäglichen ersten Pressekonferenz von Vizekanzler Werner Kogler und der damaligen Kulturstaatssekretärin Elfriede Lunacek im April letzten Jahres, bei der auch für Darsteller, die auf der Bühne agieren, eine Distanzvorschrift von 1,5 Metern verkündet wurde, wollte ich aus dieser völlig theaterfremden Verordnung quasi einen Auftrag für mich herauslesen, die damalige - und im Grunde auch noch heutige - Situation nicht nur zum Heulen zu finden, sondern sie, im Gegenteil, zum Thema eines Spiels zu machen, das da lautete: „Distanz“. So entstand das Erste Österreichische Distanz Theater. Zentral in ihm waren und sind Riesenfiguren, die durch ihre schiere Größe die sie bedienenden Personen auf der Bühne nie näher als die geforderten 1,5 Meter zu einander kommen lassen. Daraus urgierte ich dann auch ein inhaltlicher Konnex für das Stück „Bleib mir vom Leibe!“, für das fünf AutorInnen aus meiner Heimat neue Texte lieferten. Die Riesenfiguren auf der Bühne, die diese Texte mit voraufgezeichneten Stimmen interpretierten, wollten dabei weniger als Personen denn als Wesenheiten verstanden werden, als Majestäten, die sich, auch innerlich groß, als die Seele von Steinen erweisen, in denen das Gedächtnis der Welt gespeichert ist. Sie folgen weniger einer realistischen als einer poetischen Diktion. Die will ich natürlich auch für WIR KAMEN UND SIE BRAUCHTEN UNS beibehalten - denn alles in allem konnten sich diese Figuren, auch wenn sie „nur“ mechanische Konstruktionen sind, im Zusammenwirken von literarischem Text, Musik, Licht, choreografierter Bewegung unter einem freien Himmel beim Publikum doch einen gehörigen Respekt verschaffen. Und nicht nur beim Publikum, auch bei der Jury einer Kulturstiftung.

 

Neben Prof. Klaus Amann, der eine Liste literarischer Werke erstellt hat, aus der Sie nun eine Textauswahl für ihre Stückeinrichtung treffen, sitzt auch Manfred Bockelmann bei diesem Projekt mit im Boot, der für die Modellierung der Figurenköpfe verantwortlich ist - wie würden Sie die Zusammenarbeit beschreiben und wie kam diese zustande? 

Prof. Amann in dieses breit gefächerte Projekt einzubeziehen war mehr oder weniger der erste Gedanke von Gerhard Lehner, zumal Prof. Amann - dem ich bis jetzt kein einziges Mal persönlich begegnet bin und zu dem ich auch sonst keinen Kontakt hatte und habe - hierzulande als Koryphäe in Sachen zeitgenössischer Literatur und als Kenner des Werks der Kärntner Autorinnen und Autorinnen gilt. Und das war schon mal ein wirklicher Glücksgriff, denn der Herr Professor hat tatsächlich „geliefert“. Zufällig ereignet sich heuer ja auch das „Jahr der Architektur“ in Kärnten, da wollte Gerhard Lehner, der seine Fühler immer in mehrere Richtungen ausstreckt, ebenfalls mit dabei sein. Zwei Begriffe standen also von Anfang an im Fokus unseres Interesses: Hier die Ortsbezogenheit für das „Jahr der Architektur“, dort das Thema des Calls der Kärntner Kulturstiftung „Umbrüche“. Aus diesen beiden Vorgaben, zu denen sich dann auch noch die Pandemie als kreativer Querschläger gesellte, entwickelte ich die Vorgabe für WIR KAMEN UND SIE BRAUCHTEN UNS, nämlich Texte der Kärntner Gegenwartsliteratur zurückzubringen an jene Orte, an denen sie angesiedelt sind. Herr Professor Amann hat, wie es schien, aus dem Stand eine zweiseitige Liste mit literarischen Werken der letzten fünfzig Jahre erstellt, die genau dieser Stoßrichtung entsprechen. Es kann einem das Herz lachen! Letztlich entschieden Gehard Lehner und ich uns für fünf AutorInnen - zumindest für dieses Jahr -, wobei ich aus den vom Professor empfohlenen Werken nun eine Textauswahl treffen werde, die ich dann zu einem einzigen dramatischen Gebilde vereine. Keine einfach Aufgabe, aber eine höchst reizvolle: Alois Hotschnig habe ich ja schon inszeniert (AUS), Josef Winkler, Maja Haderlap, Peter Turrini und Josef Winkler sind für mich als Regisseur Neuland.

Manfred Bockelmann bin ich seit gut einem halben Jahrzehnt freundschaftlich zugetan. Ich habe ihn 2015 anlässlich des 20. Jahrestages des Attentats von Oberwart zu einer Ausstellung im Offenen Haus Oberwart mit seinen Kinderportraits aus Auschwitz eingeladen, für die er auch die vier beim Attentat getöteten Roma portraitierte. 2018 schuf er mir dann für die Inszenierung der Oper „Rattensturm. Angriff auf ein Sinkendes. Eine Kriegsoper“ das Bühnenbild. Es ist unglaublich einfach mit ihm zu arbeiten, weil der künstlerische Draht zueinander sofort da ist. Es ist ja gar nicht so selten so bei wirklich großen Künstlern, dass sie wesentlich unkomplizierter sind als man meinen möchte, weil ihnen die Gabe der Klarheit in der Zielsetzung ihrer Arbeit geschenkt ist.

Gibt es ein „Element“, das die verschiedenen Kärntner Autor*innen vereint? Unter welchen Gesichtspunkten wird die (finale) textliche Auswahl getroffen?

Da es thematisch um „Umbrüche“ geht, liegt es nahe, Texte zu wählen, die - ob direkt oder indirekt - einen Kampf gegen die moralische Oberhoheit einer als obsolet erkannten Tradition, aber auch um eine Aufwertung des poetischen Angebots an Welterfahrung führen. Man wird zudem sehen, dass vieles, was uns die Pandemie des Jahres 2020 und ihre noch weit in die Zukunft reichenden Folgeerscheinungen beschert (hat), in vielen der zur Auswahl stehenden Texte antizipiert ist. Insofern kann die Gegenwartsliteratur in der Weise als Menetekel gelesen und inszeniert werden, wie die Pandemie nicht nur als medizinische Erscheinung, sondern als ein von der Brachialität menschlicher Lebensstrategien vorprogrammiertes Ereignis gesehen, rezipiert und auch vom Zuschauer verstanden werden kann.  In vielen, wenn nicht den meisten Erzeugnissen der Literatur wird man den bewussten oder auch unbewussten Versuch ihrer AutorInnen erkennen, durch den Akt des Schreibens ein wie auch immer (be)drängendes Ereignis, ein Verhängnis, ein Verhältnis, eine Schicksalsfügung, eine Menschheits- oder Naturkatastrophe usf. festzuhalten, um den Grad des menschlichen Dramas überhaupt erst überschaubar zu machen und sich damit einen Teil von Selbstbehauptung zurückzuerobern. Erzählen ist ein Akt der Bewältigung, Bewältigung per se ein geglückter Akt der Distanzierung zu den Fährnissen der Wirklichkeit mit der Hypothek, mit ebendieser zu brechen, um neuen Gedanklichkeiten und Lebensrealitäten die Tore zu öffnen.

Zur konkreten Auswahl der Texte kann ich jetzt, Mitte April 2021, noch nichts sagen, da ich mich gerade in der Phase der Vertiefung in die ausgewählten Werke befinde.

Werden in diesem Stück Bezüge geschaffen, die mit der Corona-Pandemie in Verbindung stehen und falls ja, welche? 

Siehe die vorangegangene Antwort.

Wie sehen Sie die Zukunft für Kunst und Kultur nach der Krise generell?

„Kunst“: Sie wird eine andere sein. Und doch nur eines: Kunst.
Über die Zukunft der „Kultur“ zu sprechen, das traue ich mir aktuell nicht zu - obwohl meine Gedanken fastnur rund um dieses Thema kreisen. Das würden sie allerdings auch ohne Pandemie.