Marandjosef, ich liebe liebe eine Hex
Güssing wartet auf das nächste Peter Wagner Spektakel
Güssing wird im kommenden Sommer wieder ein Theaterspektakel erleben. Für Peter Wagner ist es das bisher größte Experiment mit LaiendarstellerInnen. Der südburgenländische Schriftsteller wird dafür seinen eigenen Text beisteuern – ein Stück, das scheinbar von Vergangenem handelt. Doch Traditionen sind zäher, als man denkt…
In einem Oberwarter Wirtshaus informiert uns Peter Wagner über sein neues Theaterprojekt. Das Stück hat den ausgesprochen Wagnerischen Titel „Teufel, Tod und Hex’“. Es muss bis Ostern fertiggeschrieben sein, denn dann beginnen die Proben.
Wagner schneidet an seiner Pizza herum und „verrät“ uns, was wir ahnten, um nicht zu sagen wussten: Es wird wieder ein Stück mit aktueller Brisanz werden. Die letzten Hexenprozesse auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes liegen zwar schon drei Jahrhunderte zurück (in andern Teilen Europas noch länger), aber der Hintergrund hat überdauert: die Bereitschft der Gesellschaft, alles „nicht Normgerechte“ auszugrenzen. Überdauert hat auch die Dämonisierung des Weiblichen – in der Kirche sowieso, in den Medien auf eine subtilere Weise. In Gestalt eines Kronenzeitungskolporteurs dringt plötzlich Mephisto in unser Gespräch ein. Mit dem üblichen teuflischen Grinsen legt er uns sein Blatt auf den Tisch, die Ausgabe vom 14. Jänner 1996. Die dicke, fette Schlagzeile lautet: „Das Geständnis des Weibsteufels“.
Peter Wagners neues Stück wird uns einen Pfarrer vorführen, der seinen Hexenhammer kennt. Seine Lieblingsbibelstelle lautet „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“ (EX 22,17). In seinen Predigten warnt er die Christenheit vor dem Prinzip Weib. Die Frau sei von Natur aus schlecht und teufelsanfällig.
Da kommen Gaukler in die Stadt. Ein Mädchen aus der lebenslustigen Truppe lockt den Pfarrer in das Reich der Liebe: auch Inquisitoren haben Säfte. Aaron, der Chef der Gauklertruppe, stirbt, doch bei seinem Begräbnis stellt sich heraus, dass er nur scheintot war. Im Laufe der Handlung wiederholen sich für Aaron Begräbnisse wie „Wiederauferstehungen“. Was für eine Gelegenheit, den geplanten Leichenschmaus in ein pralles, üppiges Muladsag nach Art von Fellini oder Kusturica-Filmen zu verwandeln! (stellen wir uns vor, ohne den noch nicht vorhandenen Text Peter Wagners zu kennen – die Red.). Doch die Kirche – istgleich Gesellschaft – sagt: Die Gaukler müssen mit dem Teufel im Bunde sein. Den suspekten Vagabunden wird der Prozess gemacht.
Das bringt den Pfarrer in die schlimmste Lage seines Lebens, nämlich in einen Mords-Zwiespalt. Er, Gottes Hammer gegen die Hexerei, ist in eine Hexe verliebt! Wie löst der gute Mann diesen Konflikt? „Ich hätte gerne, dass er sich am Ende selber den Prozess macht, dass seine vollkommen gespaltenen Persönlichkeit sich in der Einheit von Richter und Henker auflöst“, spinnt Wagner seine Geschichte zu Ende; wie er sie dann wirklich ausgehen lässt, werden wir ja sehen.
„Teufel, Tod und Hex“ soll am 20. Juni auf Burg Güssing uraufgeführt werden. Alle DarstellerInnen sind Laien aus Güssing und Umgebung. Zum ersten Treffen kamen 80 Leute, um eine Rolle zu bekommen. Für Peter Wagner ist dieses unerwartet breite Interesse Zeichen einer gewissen Bereitschaft, „aus der Lähmung auszubrechen“, die alle erfasst hat, und einer sehr latenten ursprünglichen Freude an Darstellung und Selbstdarstellung.
Ein „dilettantisches“ Schauspiel (im ursprünglichen positiven Sinne des Wortes) ist im Entstehen. Für den Autor ein außergewöhnlicher und herausfordernder Schaffensprozess, denn „ich weiß beim Schreiben der Rollen schon, welche konkrete Menschen sie realisieren werden, dass heißt, ich bin als Autor identisch mit dem Regisseur“. Dagegen heißt Stückeschreiben im üblichen Theaterbetrieb: Schreiben für ein abstraktes Schauspielerensemble oder – im schlechtesten Fall – für gar keines. Die wichtigsten Rollen bei „Teufel, Tod und Hex’“ sind bereits verteilt: Klaus Stöger wird den Pfarrer darstellen, Kurt Resetarits den Gauklerchef Aaron und die Güssinger Pädagogikstudentin Eva Stimpfl das Gauklermädchen Anja. „Ich weiß, dass ich für Laien schreibe, aber das zwingt mich als Theaterautor zu keinerlei Abstrichen. Inhaltlich wird es deswegen keine Kompromisse geben. Ich möchte etwas entwerfen, das zum Gaudium der Stadt wird“, meint Peter Wagner im UHUDLA-Gespräch.
Mit dem Güssinger Experiment geht der Künstler aus dem südburgenländischen Deutsch Kaltenbrunn auf Distanz zur „hohen Schule“ des professionellen Theaters – ohne mit ihr zu brechen: „Ich bin gespalten. Ich muss mich auch weiter in der Welt des professionellen Theaters bewegen können. Ich brauche die Konfrontation mit Berufsschauspielern. Doch das Spannendste ist die Arbeit mit Laien, ist die Einbeziehung einer ganzen Kleinstadt in den Arbeitsprozess. Wenn es stimmt, dass Theater eine gesellschaftliche Funktion hat, dann hat jede Minute der Güssinger Inszenierung mehr Sinn als noch so kreative Leistungen, mit denen man doch nur den herkömmlichen Theaterbetrieb ernährt.“
Frau Taschler aß das Mädchenherz
Die Eberauer Protokolle
1486 erschien in Deutschland der „Hexenhammer“ oder „Malleus Maleficarum“. Die Frauenverfolgungen hatten damit eine neue „juristische“ Grundlage. „Klein ist jede Bosheit gegen die Bosheit des Weibes“, wird da formuliert. „Was ist das Weib anders als die Feindin der Freundschaft, eine unentrinnbare Strafe, ein notwendiges Übel, ein wünschenswertes Unglück, eine häusliche Gefahr, ein ergötzlicher Schade, ein Mangel der Natur, mit schöner Farbe gemalt? Dass ein Weib weint, ist trügerisch. Sinnt das Weib, dann sinnt es Böses.“
Der „Hexenhammer“ war aber bei weitem nicht das erste kirchliche Traktat gegen Frauen. Die Predigt, das wirksame Mittel der Christianisierung, hat ab dem 13. Jahrhundert unablässig die Angst vor der Frau verbreitet, schreibt Jean Delumeau („Angst im Abendland“, rororo-Sachbuch, 1985).
Mit der Freud’schen Analyse der Kastrationsangst, die die uralte Furcht des Mannes vor der Frau begründe, stehe uns eine mögliche Erklärung zur Verfügung.
Das Werk „De planctu ecclesiae“, das bereits um 1330 auf Verlangen des Papstes Johannes XXII von einem Franziskaner verfasst worden war (und in verschiedenen Bibliotheken liegt, da es bis ins 16. Jahrhundert hinein immer wieder gedruckt wurde), nimmt den „Hexenhammer“ vorweg. In dem Buch findet sich eine Liste der 200 „Laster und Missetaten“ der Frau.
Es gab in dieser Zeit immer wieder vernünftige Kleriker, die die Hexenverfolgungen kritisierten – umso beachtlicher ist, dass sich diese Praxis in einigen Teilen Europas bis ins 18. Jahrhundert gehalten hat.
Leider waren es unter anderem die westungarischen Gebiete, also das heutige Burgenland, wo man Frauen unter dem Hexerei-Vorwurf auch dann noch ermordete, als die Hexenjagden anderswo längst in Misskredit waren. Aufschlussreich für das Gebiet um Güssing (wo Peter Wagner – siehe oben – sein Hexenstück ansiedelt) ist eine Studie von Maria Kiss, die sich die Protokolle über Hexenprozesse aus den Archivbeständen des Erdödyschen Archivs in Eberau zu Gemüte führte.
Im März 1700 gestand die Frau des Michael Taschler aus Postrum, nachdem sie in der Burg Eberau gefoltert worden war, dass sie am Tod mehrerer Personen schuldig sei. Weiters gestand sie, dass sie das Brandmal des Teufels trage, dass sie das Herz eines Mädchens namens Panna herausgeschnitten und gegessen habe, dass sie eine Frau Horvath mit teuflischer Kunst erwürgt habe und dass sie ihre Praktiken seit zwei Jahren mithilfe des Satans ausübe. Der Satan der Frau Taschler habe „Hanzli“ geheißen. Gemeinsam mit anderen Frauen habe sie im Weinberg Hexensabbate durchgeführt. Frau Taschler wurde zum Tode verurteilt.
Eine Mitanklage bei diesem Hexenprozess war unter anderem die Frau des Eberauer Fleischhauers Lendli. Ihre hexische Fähigkeit bestand laut Protokoll vor allem darin, Steinhagel herbeizurufen können.
Eberau war eine Herrschaft mit „Beilrecht“, daher wurde das Urteil in vielen Fällen in der Marktgemeinde vollzogen. 1716 wurden drei Personen geköpft, danach ihre Körper auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im Jahre 1719 wurden die Witwe des Stefan Nagy und auch zwei Männer – Andreas Rosner und Anton Dersanits – wegen Hexerei hingerichtet.
Unter den männlichen „Hexen“, die gelegentlich das Schicksal der angeklagten Frauen teilen mussten, befanden sich laut Maria Kiss eine „beträchtliche Anzahl von Hirten, denen man ihr in der Tierheilung erworbenes empirisches Wissen zur Last legte“. Sie waren weise wie sonst nur die „weisen Frauen“.
Erst eine Verordnung aus dem Jahre 1768 beendete die Hexenprozesse endgültig.
R.S., UHUDLA, 1996