Ein pannonischer Lebensfilm und karantanische Bühnenriesen
Peter Wagner hat einen Film übers Gehen und über sich als Künstler aus dem Südburgenland gemacht. Er ist aber auch ein ästhetischer Verbinder. Jährlich gastiert er beim Ensemble Klagenfurt. Heuer mit Riesen.
Porträt
Peter Wagner ist Schriftsteller, Regisseur, Filmemacher, Musiker. Aber vor allem ist er ein Burgenländer. Genauer: ein Südburgenländer. Noch genauer: ein Oberwarter. Diese kleine Stadt wollte und will er ans Leder. Um die buhlt er. Die richtet er sich her. An der verzweifelt er immer wieder. Und immer wieder flüchtet er sie klarerweise. Und nimmt es dann doch mit, dieses Felsőőr, Borta, Erba, dieses Oberwart.
Sehr schön zeigt der mittlerweile 65-Jährige in seinem neuen Film, der unlängst Premiere im Oberwarter Dieselkino gehabt hat. Gehen unter schwebendem Geleise heißt er. Der äußere Rahmen, der Schauplatz, ist die aufgelassene Bahnstrecke zwischen Oberschützen und Rechnitz, die nun als Radweg ein touristisches Ausgedinge finden wird. Der Oberwarter Wagner, der in Oberschützen ins Gymnasium gegangen ist, kennt die Strecke seit Schülertagen.
Dickicht
Ursprünglich gedacht war der Film als eine "Natura vincit omnia"-Hommage. "Bei einem Bahnübergang ist mir auf einmal aufgefallen, wie verwachsen alles schon ist. Wie schnell das gegangen ist. Dem wollte ich nachgehen." 2012 nochgelegt. Jetzt zumeist schon ein Gestrüpp.Aber wie das so ist im kreativen Akt: Das reale Dickicht auf den stillgelegten Gleisen entpuppt sich im Gehen auch als das der Geschichte der Gegend, in die Peter Wagner als wuchernder Busch nicht minder hineinverwachsen ist. Und so wurde der Film zu einer poetisch komplexen Wanderung durch Gegend, Geschichte und Autor. Ein sehr subjektiver, das eigene Werk immer wieder mitreflektierender Blick auf das heuer ja den eigenen Hunderter bejubelnde Burgenland.
Purdi Pista
Für Peter Wagner beginnt es in Oberwart. In den frühen 1970ern. Mit einem alten, schwer vom Alkohol schon gezeichneten Mann. "Mein Lebenszigeuner", sagt Wagner im Film. Mit ihm beginnt auch Wagners Schreibkarriere. Purdi Pista sagt, die Cymbal ist tot war Peter Wagners überaus erfolgreiches erstes Hörspiel. Von Purdi Pista , der Stefan Horvath hieß in jenem bürgerlichen Leben, das ihm die eintätowierte Nummer am Unterarm genommen hat, überliefert Wagner den immer wieder gehörten Aufschrei: "Waaßt du, wos Auschwitz is? Auschwitz ist die Hauptstadt von der ganzen Welt!" Wagner hat ein Lied darüber geschrieben.
Roma und Nazi
Die Roma und die Nazis. Ein Lebensthema des Peter Wagner auch in diesem Film. Beiden begegnet er gewissermaßen auf Schritt und Tritt. "Erst beim Gehen ist mir klargeworden, wie viel sich an dieser kurzen Bahnlinie komprimiert hat."In Oberschützen das Anschlussdenkmal, auch ein immer wiederkehrendes Wagner-Thema. Aus Unterschützen stammt etwa nicht nur Rudolf Sarközi, der 2016 verstorbene Chef des Kulturvereins der österreichischen Roma. Von hier kam auch Tobias Portschy, der mit seiner Schrift "Die Zigeunerfrage" den Weg in die Vernichtungslager wies. Bis 1996 lebte er unbehelligt und unbelehrbar in Rechnitz. "Es war klar, dass ich dorthin auch gehen musste." Dorthin, wo 1945 200 ungarische Juden massakriert wurden, deren Gebeine immer noch gesucht werden.
Klagenfurter Distanz
Diese Verwachsung mit dem Dickicht des südlichen Burgenlandes ist wie das Basislager, von dem aus Peter Wagner immer wieder seine Expeditionen startet. Nach Klagenfurt zum Beispiel. Dort ist er mittlerweile ein Stammregisseur und Autor im Ensemble Klagenfurt geworden. Heuer setzte er Texte von fünf Kärntner Autoren – Maja Haderlap, Alois Hotschnig, Werner Kofler, Peter Turrini, Josef Winkler – bildstark in Szene.Wir kamen und sie brauchten uns handelt vom beherrschenden Motiv der heutigen Tage: der Distanz. Riesige, mechanisch bewegte Figuren treten in Wir kamen und sie brauchten uns in poetische Beziehung zu den vergleichsweise zwergenhaften Menschen. Solcherart verfremdet – gewissermaßen auf Distanz gebracht – entfalten die Texte einen plötzlich neuen, in die Seuchenzeit sehr passenden Ton.
Achsenbildung
Man kann die Klagenfurter Inszenierung als eine Fortsetzung von Bleib mir vom Leibe sehen, das Wagner für das auch von ihm initiierte erste österreichische Distanztheater entworfen hat. Das wiederum ist ein Kind des von Peter Wagner mitbegründeten Offenen Hauses Oberwart (OHO), wo natürlich auch schon das Klagenfurter Ensemble gastierte."Unsere Kooperation", erzählt Wagner, "dauert schon seit 2010." Auf eine eher launige nächtliche Mail antwortete Intendant Gerhard Lehner frühmorgens um sechs. "Um neun kam schon der Anruf." Noch im selben Jahr inszenierte Wagner seinen Monolog Die Kardinälin.
Dabei beließ man es. Jahr für Jahr gastiert der Oberwarter in Klagenfurt. Heuer eben mit den Riesen. Deren Köpfe gestaltete Manfred Bockelmann. Der Bruder von Udo Jürgens war auch schon im OHO. 2015 zeigte er dort seine Porträts der vier Roma, die 1995 in der Oberwarter Romasiedlung durch eine Bombe ermordet wurden.
Wolfgang Weisgram, Der Standard 7.11.2021